In der (digitalisierten) Arbeitswelt sehen wir uns stets neuen Herausforderungen ausgesetzt: Es kommt zu Veränderungen wie wir arbeiten und was wir arbeiten – und wie wir uns für diese neue Arbeit aus- und weiterbilden.

In einem sich anscheinend schnell ändernden Arbeitsumfeld und -markt sehen sich viele Unternehmen aber auch einer weiteren Herausforderung ausgesetzt: Wie schaffe ich es, junge Talente für meine Firma zu begeistern und am Ende auch zu gewinnen? Und wenn ich das erreicht habe, wie kann ich es dann noch schaffen, dass die neuen Mitarbeiter/-innen nicht nur produktiv sind, sondern sich auch im Job wohlfühlen? Bei der Frage nach dem Sinn der Arbeit geht es um mehr als nur das verdiente Geld am Ende des Monats. Während der Zeit im Job geht es um Engagement und Identifikation mit dem Arbeitgeber. In diesem Artikel beziehe ich mich dafür auf ein Zitat von Walter Böckmann, welcher bereits im Jahre 1984 im Sinne der menschorientierten Unternehmensführung postulierte: „Wer Leistung fordert, muss Sinn bieten“.

 

Sinnhaftigkeit und Visionen sind „unendliche Spiele“

Das Ganze klingt vermutlich auf den ersten Blick im wahrsten Sinne des Wortes sinn-voll. Doch was genau soll dieser „Sinn“ überhaupt sein? Natürlich kann die Frage nach dem Sinn der Arbeit nicht zu 100% beantwortet werden und ist darüber hinaus vermutlich stets absolut subjektiv zu sehen. Eine Herangehensweise wäre, dass sinn-hafte Arbeit eine Tätigkeit ist, die einer größeren Vision unterstellt ist. Diese ist meist dadurch gekennzeichnet, wie der US-amerikanische Autor und Unternehmensberater Simon Sinek zusammenfasst, dass sie ein „unendliches Spiel“ ist. Das bedeutet, ein Ziel, das so groß und umfassend ist, dass es quasi nie ganz erreicht werden kann. Als Beispiel wäre z.B. Sineks eigene Vision zu nennen, nämlich eine Arbeitswelt zu kreieren, in welcher der Großteil der Menschen inspiriert in die Arbeit geht, sich dort sicher fühlt und zufrieden am Ende des Tages nach Hause geht. Natürlich ist diese Vision nicht zu 100% erreichbar, aber genau da liegt der Punkt. 

Es scheint auch noch eine andere Sache zu geben, in welcher viele authentische Vision Statements von Unternehmen übereinstimmen, nämlich dass ein Beitrag zum Wohle anderer Menschen durch den Sinn entsteht. Weitere Beispiele gefällig? Hier ein paar weitere Vision Statements von namhaften Unternehmen:

  • Wikipedia: „Stell Dir eine Welt vor, in der jeder einzelne Mensch freien Anteil an der Gesamtheit des Wissens hat.“
  • Tesla: „Die Beschleunigung der Transformation der Welt hin zu nachhaltiger Energie.“
  • IKEA: „Einen besseren Alltag für die vielen Menschen schaffen.“
  • Google: „Zugang zu allen Informationen der Welt mit einem Klick.”
     

 

Wann haben Sie das letzte Mal den Sinn der Arbeit hinterfragt?

Eine weitere Herangehensweise auf den Sinn von dem zu kommen, was wir als Einzelperson im Beruf oder als Unternehmen tun, ist nach dem „Warum?“ zu fragen, oder auch „Worum geht es eigentlich?“. Diese Fragen führen meist automatisch zu einer tieferen Relevanz und – wenn sie nicht direkt an finanzielle, wirtschaftliche oder egozentrische Interessen geknüpft sind – auch zu einem Mehrwert für die Menschen. Hat man diese Gründe und entsprechende Vision gefunden und definiert, bietet dies nicht nur die nötige Orientierung in der täglichen Arbeit und bei der Umsetzung von den daraus entstehenden „endlichen“ Zielen, sondern erhöht auch das Engagement im Job und die Identifikation mit dem Arbeitgeber. Tätigkeiten, die auf den Sinn der Arbeit abzielen, werden von Menschen in der Regel auch als zutiefst befriedigend empfunden. Psychologisch gesehen ist man nicht mehr definiert von der bekannten und manchmal als unangenehm empfundenen Vergangenheit, sondern von einer (besseren) Vision der Zukunft.

Genau dieser Punkt scheint auch der Grund zu sein, warum vor allem die jüngere Generation in einer Welt der quasi unendlichen Möglichkeiten nach Unternehmen sucht, die nicht nur extrinsische Incentivierungen bieten, sondern vor allem eine, wie oben beschrieben, sinnhafte, befriedigende Arbeit ermöglichen. Vor allem in der westlichen Wohlstandsgesellschaft, in welcher wir leben, scheinen alte Statussymbole wie große Firmenwagen, dicke Gehälter oder überbordende Jobtitel oft nicht mehr als ausreichende Motivation zu dienen. Viele Menschen haben erkannt, dass dies meist nur eine kurze Zeit Befriedigung schafft, aber letztlich ein Fass ohne Boden ist, da es eh nie „genug“ ist. Wichtiger als eine Beförderung oder mehr Geld sind die Konsequenzen dafür. Der Sinn der Arbeit und eine höhere Lebensqualität führen dazu, dass die alten Statussymbole nicht mehr reichen. Deshalb spielen die Aufgaben und Beziehung im Job meist eine größere Rolle als mehr Geld oder ein hoher Status. In einer Welt, in welcher die meisten Menschen an der Spitze der Maslowschen Bedürfnispyramide angekommen sind (Stichwort „Selbstverwirklichung“), spielt der Sinn eine immer größere Rolle. Das ist eine großartige Neuigkeit, wird aber oft auch als große Herausforderung empfunden, vor allem von jungen Menschen, die im Zeitalter der Information oftmals keine Orientierung und Werkzeuge auf den Weg bekommen haben, sich darin zurecht zu finden. Wird jedoch in einer Tätigkeit ein tieferer Sinn erkannt, schafft das neue Ziele und Halt.

Um Antworten auf die Frage, ob der Sinn der Arbeit eine höhere Priorität als Geld oder Freizeit besitzt, zu finden, sollten wir freiwillige Helfer betrachten. In vielen Hilfsorganisationen oder Kirchen arbeiten Menschen neben ihrem Beruf ohne Bezahlung. Aus wirtschaftlicher Sicht scheinen diese Tätigkeiten nicht profitabel zu sein, doch führt diese Arbeit dazu, anderen Menschen zu helfen. Das Gefühl für Andere da zu sein und gebraucht zu werden, füllt diese Tätigkeit mit unglaublich viel Sinn. Wann haben Sie Ihren Mitarbeitenden das letzte Mal das Gefühl gegeben, gebraucht zu werden?

 

Sinn der Arbeit als Maxime und nicht als "Mittel zum Zweck"

Einige Unternehmen (wie z.B. die oben genannten) haben das bereits erkannt und ihre Arbeit genau daran ausgerichtet – meist mit Erfolg. Doch Vorsicht: Wenn das „Warum?“ des Unternehmens nur zum „Mittel zum Zweck“ verkommt (z.B. um mehr Umsatz und Geld zu erwirtschaften oder damit insgeheim die Konkurrenz auszubooten) kann dies auch schief gehen, weil der Sinn als nicht authentisch empfunden wird. Genau dieses Vorgehen entsteht meist aus der Angst heraus, dass ein großer Fokus auf Sinnhaftigkeit zu einem Rückgang der wirtschaftlichen Leistung führen kann. Der DM-Gründer und Vordenker der Arbeit der Zukunft, Götz Werner, hat dazu entgegnet: „Wir setzen den Menschen in den Mittelpunkt unserer Arbeit und sind wirtschaftlich erfolgreich – nicht trotzdem, sondern deshalb“. Um erfolgreich die Mitarbeitenden in den Mittelpunkt zu stellen, ist eine sorgfältige Kommunikation sinnvoll und wichtig. Eine Zieldefinition im Management – z.B. den Ebit um 10 Prozent zu erhöhen – führt in der Produktion zu fragenden Gesichtern, da für die Mitarbeiter/-innen ihr Beitrag zur Zielerreichung nicht zu erkennen ist. Die Frage nach dem Sinn der Arbeit hat dann einen negativen Effekt auf die Motivation. Darüber hinaus kann die „Form des Sinns“ eine sehr individuelle Angelegenheit sein, die zwar zu einer kollektiven Übereinstimmung führt (z.B. als Menschen an einem Unternehmen, die den gleichen Sinn verfolgen), aber nicht vom Unternehmen selbst auf die Mitarbeiter/-innen „aufgestülpt“ werden kann. Vielleicht sind die wahren Unternehmen der Zukunft deshalb nicht mehr ein Sinngeber, sondern ein Vehikel, in welchem ich als Individuum meinen eigenen Beitrag zur Zufriedenheit der Menschen verwirklichen kann.

 

Vor allem im (digitalen) Bildungsbereich ist Relevanz ein oftmals ungenutztes großes Potential

Darüber hinaus ist Sinnhaftigkeit oder Relevanz auch einer der wichtigsten Motivationshebel in der Arbeit der Bildungswelt oder Personalentwicklung an Unternehmen. Gerade beim Thema Aus- und Weiterbildung wird oftmals eine essenzielle Frage unbeantwortet gelassen: Warum (müssen oder wollen) wir das tun, was wir hier tun? Man muss dabei nur beispielsweise an den eigenen Mathematikunterricht zurückdenken – wenn wir begreifen, wie die Anwendung von Algebra, Analysis und Co. zu einem Mehrwert für unser tägliches Leben (Finanzen, Denken, Karriere etc.) führt, dann erzeugt diese entweder ein Gefühl der Neugierde oder des „ich brauche das!“ – das Engagement zu lernen entsteht so quasi von alleine, von innen heraus, meist ohne zusätzlichen externen Anreiz. Dann können innerhalb von kürzester Zeit komplexe Formeln mit Leichtigkeit angeeignet werden. Das Gleiche gilt aber auch umgekehrt: Ist das „Warum muss ich das machen?“ unbeantwortet, so kommt es häufig zu Lernwiderständen und entsprechend mangelhaftem Lernerfolg, der höchstens durch Androhung von negativen Konsequenzen zu einer wesentlich unschöneren Form der Motivation führt.

Im E-Learning Bereich gilt dies genauso. Man kann nicht davon ausgehen, dass ein bloßes Erklärvideo oder erstelltes Learning Management System automatisch zur Handlung des Lernenden führt. Dies ist aber oftmals nicht der Fall: Erst die Relevanz, die daraus entstehende Neugierde und Lernlust auf die kreative Lösung eines Problems führt zu intrinsischer Motivation und entsprechendem (digitalen) Lernerfolg.

 

Praktische Fragen an das persönliche und unternehmerische Leben

Wie kann das ganze „Sinnthema“ aus Unternehmenssicht also ganz praktisch aussehen? Die Herangehensweise können unterschiedlich sein. Ganz konkret kann sich aber jedes Unternehmen oder jeder Mitarbeiter/-innen beispielweise folgende Fragen stellen:

  • Ist uns selbst bewusst, warum wir die Arbeit tun, die wir täglich tun?
  • Welchen größeren Mehrwert leistet unsere Arbeit für die Menschen? (das kann direkter Natur sein, aber auch indirekt und unterstützend)
  • Herrscht an unserem Unternehmen eine Atmosphäre des Vertrauens statt Angst – von Mut zu Unbekanntem statt Festhalten an Althergebrachtem? 
  • Sehe ich Sinnhaftigkeit als weitere Maßnahme für wirtschaftlichen Erfolg – oder ist die menschliche Zufriedenheit das primäre Ziel und wirtschaftlicher Erfolg nur eine Konsequenz daraus?
  • Lebe ich als Unternehmensleiter/-in oder -mitarbeiter/-in diese Werte selbst vor?


Vor allem die letzte Frage ist wohl die Wichtigste. Denn nur ein halbgares, nicht authentisches Vision Statement zu formulieren und einen Fußball-Kicker-Tisch im Pausenraum aufzustellen, schafft noch lange keine sinnhafte, angstfreie Arbeitsatmosphäre. Am Ende kann nur jeder individuell auf die Sinnfrage antworten – aber wenn diese Antwort gefunden wurde und entsprechend mit dem Menschen im Fokus diese auch in die Tat umgesetzt wird – werden die passenden jungen Talente ganz von alleine auf diese Arbeit aufmerksam; um selbst in einem unendlichen Spiel einer besseren Welt größerer Nachhaltigkeit, Sicherheit und Bewusstsein mitzuwirken.


Bildnachweis: © unsplash.com

Quellen:
http://www.leisenberg.info/2015/01/02/wer-leistung-fordert-muss-sinn-bie...
https://simonsinek.com/product/the-infinite-game/
https://simonsinek.com/
https://georg.westermann.de/news/bildungsziele
 

Verfasst vom Fachexperten Dr. Jan Ullmann

Dr. Jan Ullmann ist E-Learning Trainer & Berater aus München. Seine Vision ist es, den Menschen mit seinen individuellen Talenten wieder zum Mittelpunkt der Bildung zu machen. Digitalisierte Medien sind für ihn wunderbare Werkzeuge, um menschliche Fähigkeiten wie Kreativität, Neugierde und kritisches Denken zu wecken. Er unterstützt mit seiner Arbeit öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Universitäten sowie das Lernen in der Ausbildungs- und Arbeitswelt. Kontakt: www.jan-ullmann.de | www.lernhandwerk.de