Schlüsselkompetenzen – kaum ein Wort wird wohl häufiger in Zusammenhang mit der Ausbildung 4.0 gebracht als dieses. In vielen Debatten darüber, welche Kenntnisse und Fähigkeiten die Auszubildenden denn in Zukunft überhaupt noch erwerben müssen, werden viele Aspekte genannt: Digitale Kompetenz, Soft Skills, Teamfähigkeit, Kreativität, Emotionale Intelligenz – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Doch gibt es vielleicht die eine Kompetenz, die als die Schlüsselkompetenz schlechthin bezeichnet werden könnte? Die eine, die es den Menschen erleichtert, sich bestimmte Fähigkeiten und Wissen in der Ausbildung anzueignen?

In diesem Artikel wird untersucht, ob „Fokus“ diese Rolle einnehmen könnte. Es wird dabei nicht nur beleuchtet, was die Probleme und Ursachen von fehlendem Fokus sind, sondern was die positiven ‚Nebenwirkungen‘ sein können und wie wir lernen, diesen in unseren hyperaktiven Arbeits- und Lebensalltagen praktisch in die Tat umzusetzen. 
 

Die VUCA-Welt – das Paradigma unserer heutigen Zeit?

Wenn das Wort Digitalisierung diskutiert wird, ist meist auch der Begriff „VUCA Welt“ nicht weit. VUCA ist ein Akronym und soll zusammenfassen, in was für einer Welt wir im 21. Jahrhundert leben. Die Welt sei volatil, also unbeständig, die Ereignisse und Zukunft sind so unsicher wie seit Jahrzehnten nicht mehr, die Umstände unseres Lebens sind komplex (im Englischen mit C: complex) geworden und viele Sachverhalte sind ambig, also durch Mehrdeutigkeit geprägt. Dies führt zwar zu einer lebhaften, sich ständig ändernden Arbeits- und Lebenswelt mit vielen neuen Möglichkeiten und Chancen, aber in vielerlei Hinsicht auch zu neuen Anforderungen, Überforderung und Stress. 

Es ist das Paradox der Freiheit: Zwar steht unserer Generation die Welt mit unendlichen Möglichkeiten offen wie noch nie zuvor, gleichzeitig ist aber genau dies vor allem für die jüngeren Menschen überfordernd: Was ist die ‚beste‘ Entscheidung? Welchen Anforderungen müssen wir uns stellen und welche Schlüsselkompetenzen und Fähigkeiten lohnen sich in der heutigen Gesellschaft? Und wie gehe ich mit den vielen Möglichkeiten um?

Kritisch sei zunächst zu hinterfragen, ob das VUCA-Narrativ, welches vielerorts als große neue Herausforderung angemahnt wird, wirklich etwas Neues ist. Denkt man z.B. an andere Epochen großer Umbrüche, z.B. die Französische Revolution, zurück, könnte man sich fragen: War da die Welt nicht auch schon eine VUCA-Welt? Konnten die Menschen zu dieser Zeit wissen, was die Zukunft bringt? Waren da die Dinge klar und einfach? Vermutlich ebenfalls nicht. 
Jedoch gibt es eine Sache, die sich in den letzten Jahrhunderten und vor allem den letzten Jahrzehnten tatsächlich geändert hat: Die Menge an Informationen in der Gesellschaft, die auf unseren Verstand tagtäglich einprasseln. Diese Informationsflut kreiert eventuell eine Illusion davon, dass zum Beispiel „die Zeit immer schneller vergeht“ oder „die Welt immer verrückter wird“. Wenn man aber ganz bewusst hinschaut, stellt man fest: Die Welt und der Mensch in seiner Grundform an sich haben sich nicht wirklich verändert, die grundlegenden Einstellungen sind nach wie vor gleichgeblieben, lediglich die Art und vor allem die Menge der Narrative haben sich verändert. 

Um dieser tatsächlichen Neuerung positiv entgegen zu wirken, scheint es also sinnvoll nach einem ‚Gegenmittel‘ zu suchen, welches hier als Fokus tituliert wird. Welche genaue Bedeutung steckt dahinter? Das Wort sei hier als Synonym zu verstehen und könnte beispielsweise auch Konzentration, Bewusstsein, Gegenwärtigkeit, Aufmerksamkeit, Resilienz, Mentale Balance, Mensch sein (oder eine Mischung aus allem) genannt werden. Doch was steckt genau dahinter und wie könnte es zur Lösung der o.g. Probleme beitragen?
 

Probleme und Ursachen für die fehlende Schlüsselkompetenz Fokus

Eines der wohl bekanntesten und weitverbreitetsten Symptome von fehlendem Fokus ist wohl die Prokrastination, das Aufschieben von (meist vermeintlich unangenehmen) Tätigkeiten. Die Ursachen davon können Überforderung, Stress, übermäßiger Perfektionismus, aber auch frühkindliche Konditionierungen und daraus resultierende Widerstände im Erwachsenenalter sein. 

Auch dies ist nichts Neues – jedoch wird vor allem, wenn digitales (Selbst-)Lernen in die Tat umgesetzt wird, meist ein wichtiger Aspekt übersehen: Umgebungen wie das eigene zu Hause und Lernen im Internet bieten unserem Gehirn, welches grundlegend oft im ‚Widerstand‘ zu Veränderung (also Lernen) ist, eine viel größere Anzahl an Ablenkungsmöglichkeiten. Das Klassenzimmer oder der Seminarraum mag zwar in seiner Organisation ‚altmodisch‘ sein, aber zumindest sind hier die Möglichkeiten, mich vom Erwerb meiner Bildung abzulenken, geringer. Zu Hause am Rechner sieht das schon viel herausfordernder aus, eine erworbene Handlungskompetenz gezielt einzusetzen: „Nur mal kurz die E-Mails checken“, „schnell noch ein YouTube Video“, „ach, da hat jemand bei WhatsApp geschrieben“ – und schon ist der Fokus auf die Lerninhalte dahin. 

Das erzeugt Stress und fehlende Gegenwärtigkeit, da unser habitueller Verstand plötzlich den Alltag bestimmt und nicht wir selbst. Erschwerend hinzu kommen noch illusorische Bilder meiner Mitmenschen in der Filterblase der sozialen Medien: Jeder postet oft nur das, was positiv ist – und kreiert in meinem Kopf das negative Bild, das jeder das Leben im Griff hat, außer ich. Gefühlt alle Menschen in meinem sozialen Umfeld entwickeln sich pausenlos weiter, nehmen ein weiteres Studium oder eine Ausbildung auf und arbeiten in angesehenen Unternehmen. 

Das erzeugt mentalen Druck und dementsprechend Stress. Laut aktuellen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen schaltet unser Gehirn dabei in eine Art „Überlebensmodus“: Meine Sicht der Dinge ist durch Angst geprägt, Stress, Limitierung, Gefahr sowie negativen Gedankenschleifen und Emotionen. Der metaphorische Säbelzahntiger jagt mich, allerdings in diesem Fall nicht durch eine tatsächliche Gefahr, sondern eine, die lediglich durch eine große Anzahl (von außen induzierter) Gedanken ausgelöst wurde. Dies ist sehr verbreitet und wird deshalb oftmals für ‚normal‘ gehalten. In Wirklichkeit ist dies aber der ‚Not-Modus‘, der wirkliche Normalzustand des Menschen ist der „Schöpfermodus“: Wenn ich wirklich entspannt bin, im Flow, konzentriert und die Welt offen, empathisch und in seinen unendlichen Möglichkeiten sehe. Um meinen Verstand von einem in den anderen Modus mitzunehmen, hilft uns genau die eine Schlüsselkompetenz: Fokus auf den gegenwärtigen Moment, Bewusstsein für das, was gerade tatsächlich von Bedeutung ist (eine Art „Realitätscheck“) und die Fähigkeit den Widerstand aufzugeben, vor allem in den Bereichen, in denen ich momentan nichts ändern kann. 
 

Welche Nebeneffekte bring die Schlüsselkompetenz Fokus mit sich? Die Antwort: Alles, was wir brauchen.

Wenn es uns gelingt, durch Bewusstsein bzw. das Schlüpfen in die Beobachterrolle den Verstand und Körper in den „Schöpfermodus“ zu bringen, welche positive Nebenwirkungen zieht das mit sich? Tatsächlich alle menschlichen Kompetenzen und Fertigkeiten, die in Zukunft immer wichtiger werden, da diese nicht oder schwer von Maschinen in der Digitalisierung automatisiert werden können. Der Erwerb der Schlüsselqualifikation Fokus, bringt einen nicht nur in der Bildung, sondern auch in anderen Bereichen weiter:

  • Kreativität: Jede/r Künstler/-in wird bestätigen, dass neue Ideen vor allem dann fließen, wenn Stille im Kopf ist, d.h. negative, unterschwellige Gedanken den kreativen Fluss nicht blockieren. Gemeint ist hier ebenfalls Bewusstsein, also Fokus.
  • Empathie: Auch wenn es oftmals schwierig in der Praxis umzusetzen ist, Empathie ist nicht etwas, was wir uns antrainieren müssen, sondern der Normalzustand des Menschen. Eine kulturelle und soziale Offenheit hilft individuelle Probleme anderer Personen zu verstehen. Der Grund warum wir nicht empathisch sind, ist Stress oder Erfahrungen, die sich durch Gedanken und Emotionen aus der Vergangenheit speisen, d.h. unbewusst in einer automatischen Reaktion unser Handeln bestimmen. Erst wenn wir lernen, dies fokussiert zu erkennen, können wir diese konditionierten Muster in uns ablegen und natürlich empathisch mit unseren Mitmenschen sein.
  • Kritisches Denken: Wenn wir erkennen, dass viele Aspekte unseres Lebens keine „fixe Realität“ sind, sondern lediglich Narrative und Gedankenfilter aus unserer eigenen Anpassung und Erziehung, beginnen wir den Status quo natürlich kritisch zu hinterfragen und eventuell positiv zu ändern. Genau dies braucht aber auch wieder den neutralen, fokussierten Blick des Beobachters, unseres eigenen Bewusstseins. 
  • Resilienz/Emotionale Intelligenz: Auch diese Begriffe werden aufgrund der externen Ablenkungsfaktoren und Stress sehr häufig als Schlüsselkompetenzen oder Schlüsselqualifikationen genannt, jedoch verbirgt sich in der Essenz ebenfalls wieder die genannte fokussierte Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment. Durch das Bewusstmachen von stressigen Gedanken und Emotionen wird nicht nur Resilienz trainiert, sondern die natürliche, angeborene emotionale Intelligenz (im genannten Schöpfermodus) bestimmt unser Denken und Handeln.
     

Integration der Schlüsselkompetenz Fokus in den Alltag des digitalen Lernens und Lebens

Die Vorteile und auch die Notwendigkeit des Erwerbs von Schlüsselkompetenzen liegen somit auf der Hand. Doch wie können wir dies nun konkret in die Tat umsetzen? Viele Ansätze bleiben hier auf der philosophischen Ebene stecken und münden lediglich in eine Forderung („Wir müssen mal…“) statt einer praktischen Umsetzungsempfehlung („Wie geht das?“). Natürlich mag es, vor allem anfangs, nicht möglich sein, den ganzen Tag fokussiert im Schöpfermodus zu sein und natürlich haben alle Menschen jeden Tag auch nur eine bestimmte Menge an Energie zur Verfügung. Aber damit bewusst und vor allem gesund umzugehen ist nicht nur eine Sache von guten ‚Zeitmanagement‘ Methoden; diese mögen zwar auf der Symptomebene kurzfristig hilfreich sein, behandeln das Problem jedoch nicht an der Wurzel. 

Vielmehr ist es wichtig zu erkennen, dass die Ursache für alle unsere (großen und kleinen) Probleme lediglich eins ist: Gedanken unseres Verstands und daraus resultierende Emotionen in unserem Körper. Zunächst muss erkannt werden, dass es in den meisten Fällen nicht die Umstände sind, die mich stressen, sondern meine Einstellung zu den Umständen. Die Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren und an den eigenen Einstellungen zu arbeiten, ist ein wichtiger Schritt. Praktisch gesehen, helfen zum Verändern meiner Einstellungen nicht nur klassische Konzentrationsübungen, sondern auch Achtsamkeitstechniken, Meditation (klassisch sitzend, bewegend oder als Schreibübung) usw. 

Wichtig ist dabei zu verstehen, dass Meditation nichts Mystisches bedeutet, sondern lediglich die Funktion hat, sich seiner eigenen Gedanken und Emotionen als Ursache für fehlenden Fokus bewusst zu werden. Das Ziel ist dabei weder „nicht mehr zu denken“ oder gar „Erleuchtung zu erlangen“ (wie oft fälschlich gedacht wird), sondern lediglich unser Bewusstsein auf den gegenwärtigen Moment zu legen und somit die Grundlage dafür zu schaffen, zufriedener und auch schöpferischer unser Leben innerhalb und außerhalb der Ausbildung zu gestalten. 

Wenn Gedanken aus der Vergangenheit Ursachen für Prüfungsängste sind, warum dies nicht in den Ausbildungsalltag integrieren? Wenn fokussiertes Bewusstsein zu besserer Selbstlernkompetenz im Bereich des Digitalen führt, warum nicht genau dort beginnen, statt mit reinen digitalen Technikspielereien? Dies gilt im Übrigen auch für die Seite der Ausbilder/-innen: Eine wirklich gegenwärtige Lehrkraft ist genau deshalb so effektiv und schafft nötiges Vertrauen (zum Abbauen von Ängsten auf der anderen Seite), weil sie, fast schon ‚beiläufig‘, empathisch und authentisch ist. Und genau da sollten wir mit der Entwicklung beginnen.

Denn dann ist auch die perfekte Grundlage für die Arbeit auf Plattformen wie GEORG gelegt, welche durch die unterstützende und einfach zu bedienende Oberfläche, ohne unnötige Ablenkungen, den Lernvorgang optimal unterstützt. Kompetenzen und Fähigkeiten sowie umfangreiches Fachwissen können erworben werden. Haben Sie Interesse? Jetzt gratis Testlizenz anfordern!  


Bildnachweis: © unsplash.com
Quelle: vgl. Dispenza 2012. „Breaking the Habit of Being Yourself”.

 

Verfasst vom Fachexperten Dr. Jan Ullmann

Dr. Jan Ullmann ist E-Learning Trainer & Berater aus München. Seine Vision ist es, den Menschen mit seinen individuellen Talenten wieder zum Mittelpunkt der Bildung zu machen. Digitalisierte Medien sind für ihn wunderbare Werkzeuge, um menschliche Fähigkeiten wie Kreativität, Neugierde und kritisches Denken zu wecken. Er unterstützt mit seiner Arbeit öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Universitäten sowie das Lernen in der Ausbildungs- und Arbeitswelt. Kontakt: www.jan-ullmann.de | www.lernhandwerk.de