Wer kennt die Prokrastination nicht aus eigener Erfahrung: Das zeitaufwendige Projekt, das immer wieder aufgeschoben wird, die Prüfungen, die korrigiert werden müssen, oder der Klassiker der alljährlichen Steuererklärung – es gibt wohl viele (unangenehme) Aufgaben in unserem Arbeitsalltag, die wir auf den nächsten Tag oder noch weiter aufschieben.

Zahllose Literatur wurde zum Überwinden der Symptome geschrieben, von Zeitmanagement über Effektivitätssteigerungsmethoden bis hin zur Bekämpfung des metaphorischen inneren Schweinehundes. Doch was wäre, wenn die Lösung des Aufschieberitis-Problems gar nicht im Kampf mit dem inneren Kritiker liegt? Wie wäre es, wenn wir uns nicht nur der Ursachen für Prokrastination (Aufschieben) bewusst werden, sondern uns den inneren Kritiker gar zum Freund statt zum Feind machen? Dieser Artikel versucht eine praktische Methode zu reflektieren, mit welcher es Ihnen gelingen könnte, Prokrastination zu vermeiden und die nächsten großen Aufgaben mit Gelassenheit statt mit Stress oder gar Zeitdruck und Panik zu bewältigen. Schieben wir das Ganze also nicht auf, sondern legen direkt mit den Tipps los, mit denen Sie das Phänomen Prokrastination überwinden!
 

Schritt 1: Bewusstwerdung – Was ist der Grund für das Aufschieben?

Das Hauptproblem bei der Prokrastination ist wie so oft, dass an den Symptomen gearbeitet wird, aber oftmals die Problematik nicht an der Wurzel angepackt wird. Der Hauptgrund, warum Menschen eine vermeintlich unangenehme Aufgabe auf die lange Bank schieben, ist in so gut wie allen Fällen unser innerer Kritiker, also die Stimme in unserem Kopf, die uns tagein, tagaus eine Geschichte erzählt. „Fang später an“, „Das wird sicher ganz schön anstrengend“, „Wir müssen es perfekt machen“ sind nur einige Beispiele von Glaubenssätzen, die in unserem Kopf herumschwirren. Das Problem ist auf der einen Seite, dass uns dieser innere Kritiker oftmals gar nicht bewusst ist, weil wir so „eins“ mit ihm geworden sind, dass wir glauben, dieser innere Kritiker zu sein. Dass dem nicht so ist, können Sie ganz leicht selbst herausfinden, indem Sie kurz tief durchatmen und neugierig, aber ohne zu beurteilen beobachten, was der innere Kritiker gerade an vermeintlichen Vermeidungsgründen und -strategien gegen das Bearbeiten der Aufgabe anzubringen hat. Diese Bewusstwerdung und Desidentifikation mit diesen Gedanken ist der wichtigste erste Schritt hinaus aus der Prokrastination.
 

Schritt 2: Erkennen, dass der innere Kritiker es gut mit uns meint

Wie bereits erwähnt, wird das menschliche Ego oftmals als Feindbild – selbst in wissenschaftlicher Literatur – dargestellt, als wäre es etwas, was wir um jeden Preis bekämpfen, ja gar ausmerzen sollten. Ich möchte hier ein anderes Bild vom inneren Kritiker aufstellen, nämlich dem eines Beschützers. Der Grund, warum er sich z.B. mit oben genannten Gedanken meldet, ist, dass er unser Bestes will. Er möchte uns beschützen vor Blamage. Er hat die besten Absichten für uns und speist sein „Wissen“ dabei aus vergangenen Situationen, vor allem als Erinnerungen an Erlebnisse, in welchen schon einmal etwas schief gegangen ist. Das soll nicht noch einmal passieren! Also meldet er sich zuverlässig mit allen Arten von perfektionistischem Denken über den Arbeitsverlauf und das Resultat, die uns zugutekommen sollen. Diesen ersten „Frieden“ mit seinem inneren Beschützer zu erkennen und zu schließen, ist ein fundamentaler zweiter Schritt dahin, in Zukunft Prokrastination zu vermeiden und das typische Aufschiebe-Verhalten zu verändern.
 

Schritt 3: Schließen Sie einen Pakt mit dem Kritiker ab

Hier kommt jedoch die Wurzel des Aufschieberitis-Problems: Der innere Kritiker meldet sich zu früh! Wenn wir vor einem leeren Blatt mit blinkendem Cursor sitzen oder den Stapel mit zu bearbeitenden Tests oder wichtigen Steuerunterlagen anschauen, dann haben wir noch nichts erledigt – es ist also einfach der falsche Zeitpunkt für Perfektionismus, da es ja noch nicht einmal etwas Erledigtes gibt, was zu perfektionieren wäre! Um dem entgegenzukommen, schließen Sie vor Ihrem inneren Auge einen Pakt mit Ihrem inneren Kritiker (vielleicht hat er mittlerweile ja sogar einen eigenen Namen) ab, und sagen Sie ihm: „Danke, dass du da bist und das Beste für mich willst. Auch ich möchte mich nicht blamieren und ein gutes Resultat abliefern! All deine Kritik mag berechtigt sein, nur kommt sie ein klein wenig zu früh. Ich verspreche dir hiermit, dass ich auf all das hören werde, aber nicht jetzt, sondern später. Jetzt fange ich einfach erstmal an und zu einem späteren Zeitpunkt perfektionieren wir das Ergebnis dann gemeinsam.“.
 

Schritt 4: Weitere Prokrastination vermeiden – Fangen Sie an, "Müll" zu produzieren

Sobald der innere Kritiker beschwichtigt ist und mit dem Pakt einverstanden ist, wird es jetzt schon wesentlich leichter sein, mit der Arbeit zu beginnen, da der Widerstand durch Gedanken und korrespondierende Gefühle kleiner geworden ist. Um dem berühmten „Weißes-Blatt-Syndrom“ (also der Angst davor, den Anfang zu machen) noch einen Schritt entgegenzuwirken, können Sie sich nun auch einfach sagen: „Ich gebe mir jetzt die Erlaubnis, ‚Müll‘ zu produzieren!“ und legen einfach los. Ganz am Anfang mag es sein, dass die Ergebnisse wirklich noch nicht vorzeigbar sind, aber machen Sie einfach weiter. Schon bald werden Sie feststellen, dass der vermeintliche „Müll“ doch gar nicht so schlecht ist. Und das Beste ist: Sie haben angefangen mit Ihren Aufgaben und mit jedem Schritt kommen Sie Ihrem Ziel ein Stück näher!
 

Schritt 5: Den Flow nutzen

Wenn Sie an Ihrer Arbeit dranbleiben, kann es durchaus sein, dass Sie in einen Zustand des sogenannten „Flows“ kommen. Dies beschreibt einen sehr fokussierten Zustand, in welchem Ihnen die Dinge mit Spaß leicht von der Hand gehen, Ideen aus dem Nichts entstehen und Sie Raum und Zeit um sich herum vergessen. Grund dafür ist ganz einfach, dass der innere Kritiker wirklich vollkommen still ist und Sie intuitiv die Aufgabe erledigen oder kreativ neue Inhalte
produzieren. Meist wird dies als sehr angenehm und sogar energiebringend empfunden. Der springende Punkt ist hier, dass Motivation und Inspiration (also quasi ein „von der Muse geküsst werden“) meist nicht die Voraussetzung für Produktivität ist, sondern das Resultat! Sprich, Sie können im Zweifel ewig darauf warten, dass die Muse endlich vorbeikommt, aber in der Praxis wird es erst passieren, wenn Sie mutig den ersten Schritt in Sachen Umsetzung gemacht haben. Nutzen Sie den Flow, aber vergessen Sie trotzdem nicht Pausen zu machen, sich die Beine zu vertreten und ab und zu frische Luft zu schnappen.
 

Schritt 6: Den Pakt einlösen

Mit einem guten Gefühl können Sie nun bereits auf das Erledigte schauen, z.B. den geschriebenen Text oder das erstellte Unterrichtskonzept. Jetzt, und eben wirklich erst jetzt, ist es an der Zeit, den Pakt mit dem inneren Beschützer einzulösen und nochmals konstruktiv kritisch über die Inhalte zu gehen und ggf. zu korrigieren oder gar zu perfektionieren. Sicherlich werden Sie ein paar Verbesserungen vornehmen, aber je nachdem wie „stark“ der Flow war, werden Sie überrascht sein, wie gut die Resultate sind. Manchmal fragt man sich mit etwas Abstand sogar: „Habe ich das wirklich geschrieben?“.
 

Schritt 7: Belohnung und Pause trotz allem nicht vergessen

Glückwunsch, Sie sind am Ziel! Sie haben es geschafft, die Prokrastination zu vermeiden, die unangenehme Aufgabe gemeistert und können jetzt mit Stolz auf Ihr Ergebnis schauen und dem inneren Kritiker und sich selbst in Sachen gutes Teamwork auf die Schulter klopfen. Bravo! Das Gute ist: Wenn Sie sich diese Methode zur Gewohnheit machen, werden Ihnen die einzelnen Schritte mit jedem Mal ein wenig leichter von der Hand gehen. Das Prokrastinieren überwinden Sie bei der nächsten unliebsamen oder herausfordernden Aufgabe also sicher schneller. Worauf warten Sie noch – probieren Sie es doch gleich einmal aus! Was haben Sie zu verlieren?
 

Weitere Fragen und Realitäts-Checks

Natürlich ist auch die beste Methode nie perfekt oder das Allheilmittel für alle Herausforderungen, die vor uns liegen. Manchmal gibt es auch Tage, an welchen sich der innere Beschützer zu Recht meldet und Sie tatsächlich eine Pause machen sollten oder die Dinge tatsächlich nicht sofort erledigen müssen, sondern tatsächlich prokrastinieren dürfen. Denn auch das ist einen Gedanken wert – fragen Sie sich, ob Sie die Dinge vielleicht manchmal zu früh erledigen wollen, obwohl eigentlich noch genügend Zeit ist und Sie somit nur vermeintlich „aufschieben“. Eine recht praktische Methode, um Aufgaben und Erledigungen zu kategorisieren, ist die sogenannte Eisenhower-Matrix. Damit unterscheiden Sie die Aufgaben, die dringend sind und sofort erledigt werden müssen, welche delegiert werden können, welche später bearbeitet werden können oder gar ganz unnötig sind. Wenn Sie dies anwenden, ein wenig üben und sich Schritt für Schritt den inneren Schweinehund zum Freund statt zum Feind machen, steht dem entspannten digitalen Arbeiten und Lernen ohne Prokrastination nichts mehr im Wege! Wenn Sie noch weitere Tipps, Materialien und Inhalte möchten, die Ihnen den digitalen Ausbildungstag erleichtern, sehen Sie sich unser E-Learning Portal GEORG an. Wir freuen uns auf Ihre Anfrage!


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Verfasst vom Fachexperten Dr. Jan Ullmann!

Dr. Jan Ullmann ist E-Learning Trainer & Berater aus München. Seine Vision ist es, den Menschen mit seinen individuellen Talenten wieder zum Mittelpunkt der Bildung zu machen. Digitalisierte Medien sind für ihn wunderbare Werkzeuge, um menschliche Fähigkeiten wie Kreativität, Neugierde und kritisches Denken zu wecken. Er unterstützt mit seiner Arbeit öffentliche Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Universitäten sowie das Lernen in der Ausbildungs- und Arbeitswelt. Kontakt: www.jan-ullmann.de | www.lernhandwerk.de