Bei dem Thema „Digitalisierung des Lernens“ assoziieren viele dies vermutlich mit Lernvideos auf Plattformen, Apps zum Selbstlernen oder virtuelle Brillen zur Erweiterung der Realität. All das ist nicht erst seit den letzten Monaten „trendy“, doch oft kommt dabei völlig zu Recht die Frage auf, welchen didaktischen Mehrwert digitale Bildung mit neuen Medien bietet. Zahlen diese neuen, virtuellen Methoden wirklich auf die eigentlichen Ziele der Lerner/-innen ein? Oder ist es vielleicht alles nur „alter Wein aus neuen Schläuchen“?

Vor allem in der öffentlichen Bildung ist die digitale Transformation ein häufig zäher Prozess mit ernüchternden Ergebnissen. Die Diskussion um die Dringlichkeit der Digitalisierung von Schulen erfährt gerade in diesem Jahr starken Aufwind. 

Doch es gibt zumindest in der Unternehmenswelt einige Vorreiter, die Digitalisierung eben tatsächlich als sinnhafte Transformation des Lernens begriffen haben – und nicht nur als virtuelles Abziehbild von längst veralteten Methoden. Was genau Unternehmen mit erfolgreichen Formaten für digitale Bildung anders machen, soll dieser Artikel beleuchten.
 

  1. Der Mix macht es: Blended Learning als die sinnvolle Methode in der (digitalen) Didaktik
  2. Lernen auf Vorrat vs. Lernen nach Bedarf 
  3. Menschliche Fähigkeiten in den Mittelpunkt
  4. Gamification als digitale und spielerische Belohnung
  5. Auch selbstgesteuerte digitale Bildung braucht Führung
  6. Fokus muss trainiert und aktiv eingefordert werden
  7. Digitale Bildung im digitalen Wandel ist mehr als ein Abziehbild der Originale
     

1. Der Mix macht es: Blended Learning als die sinnvolle Methode in der (digitalen) Didaktik

Es ist nicht die digitale Technik, die uns Menschen diktieren soll, wie wir zu lernen haben. Die Technik muss sich den Bedürfnissen und Lernzielen der Menschen unterordnen. Auf dieser Prämisse baut auch die Methodik des Blended Learning auf, was grob gesprochen für „gemischtes Lernen“ steht. Der Mix besteht dabei aus Präsenzphasen und Onlinephasen (meist zum Selbststudium) über die Neuen Medien. Dabei wird nicht zuerst gefragt „was ist technisch möglich?“, sondern vielmehr „welche Unterrichtsform macht an welcher Stelle zeitlich und örtlich Sinn?“. Entsprechend haben viele Unternehmen erkannt, dass es zwar verführerisch erscheinen mag, teure und aufwändige Präsenzseminare komplett in digitale Webinare oder sogenannte Web-Based Trainings umzuwandeln, da aber manche Arbeitsformen schlicht und ergreifend besser „in echt“ funktionieren (z.B. Kollaboration und Feedback) und manche Phasen bedenkenlos digital ausgelagert werden können (z.B. Selbststudium und Input-Phasen), wird häufig eher auf eine Mischform, anstatt auf reine digitale Bildung gesetzt. So wird Blended Learning zu einem wichtigen Bestandteil im Unterricht und zukünftig auch in Schulen häufiger zum Einsatz kommen. 
 

2. Lernen auf Vorrat vs. Lernen nach Bedarf

Eine weitere Erkenntnis ist, dass „Lernen auf Vorrat“ ein völlig veraltetes Modell darstellt, welches nicht mehr zeitgemäß ist, da sich Informationen ständig weiterentwickeln und zusätzlich neurowissenschaftlich wenig sinnvoll ist. Sprich, Unternehmen versuchen nach und nach, ihr Angebot auf „Learning on demand“ umzustellen, d.h. Unterricht (wie z.B. Schulungen in Microsoft Excel) „auf Vorrat“ anzubieten. Denn Studien haben gezeigt, dass neue Bildungsinhalte vor allem dann gut behalten werden, wenn sie in einen sinnvollen Kontext und mit Emotionen verknüpft werden, statt auswendig gelernt und, wenn der Bedarfsfall später entsteht, nicht mehr abgerufen werden können. Wenn also mit der intrinsischen Motivation von „ja, das brauche ich!“ gelernt wird, statt mit „naja, das muss ich jetzt eben lernen…“, sind die Lernerfolge fast automatisch größer. Hier kommen auch die Vorzüge digitaler Technik ins Spiel, d.h. durch digitale Lernplattformen ist es überhaupt möglich, dass Wissen zum richtigen Zeitpunkt zur Verfügung gestellt werden kann. Allerdings ist es hier auch wichtig zu beachten, dass es meist nicht ausreicht, die Informationen „einfach so“ zur Verfügung zu stellen und dann darauf zu hoffen, dass die Lerner von allein lernen. Die Sinnhaftigkeit, der Kontext und die Inspiration sollte idealerweise von den Führungskräften (bzw. in unserem Fall: den Ausbilder/-innen) kommen, ähnlich wie man es von guten Lehrern in der Schule kennt.
 

3. Menschliche Fähigkeiten in den Mittelpunkt

Unternehmen haben längst erkannt, dass sogenannte „soft skills“ gar nicht so weiche, d.h. eher optionale Faktoren sind und somit einen wichtigen Beitrag leisten für eine sinnvolle Weiterbildung und Personalentwicklung. Früher waren solche Fähigkeiten ein netter Bonus, heute ist auch in der Bildungsforschung bekannt, dass Fähigkeiten wie Kreativität, Kommunikation, Kollaboration und Kritisches Denken grundlegende menschliche Kompetenzen im digitalen Wandel darstellen, welche uns von Maschinen unterscheiden (siehe dazu auch unseren Artikel Fokus – die wichtigste Schlüsselkompetenz in der Ausbildung 4.0). Daher sollten diese im Unterricht genauso Beachtung finden wie die „hard skills“. Ein Nebeneffekt davon ist, dass sich aktiver mit dem Lernstoff auseinandergesetzt wird und die Teilnehmer/-innen motivierter sind, wenn z.B. kreative Aufgabenerledigung statt stures Auswendigpauke, ähnlich wie in der Schule, im Mittelpunkt steht. Wichtig dabei ist aber, dass die Mitarbeiter/-innen (oder in unserem Fall die Auszubildenden) bei der Entwicklung der Kompetenzen nicht allein gelassen werden, da Gedanken oder emotionale Blockaden oftmals die Ursache für mangelhafte Kommunikation/Kollaboration oder eigene Kreativität sein können, welche im Miteinander aber gut aufgelöst werden können.

4. Gamification als digitale und spielerische Belohnung in der digitalen Bildung

Schon Friedrich Schiller soll in seiner „ästhetischen Erziehung des Menschen” erkannt haben: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“. Diese Eigenschaft, die sich natürlich auch im digitalen Wandel nicht geändert hat, macht sich die sogenannte „Gamification“ zu Nutze. Unternehmen versuchen dabei die Bildungsangebote in der Personalentwicklung so zu gestalten, dass man nicht nur trockene Inhalte nach und nach verinnerlicht, sondern im Prozess z.B. Punkte sammelt, Abzeichen verdient oder kleine Lernspiele erledigen muss. Das macht Spaß und eventuell merkt man an der Stelle gar nicht, dass man eigentlich gerade etwas lernt. Diese Methode könnte auch in Schulen mehr zum Einsatz kommen. Zwar sollten diese Methoden nur sparsam eingesetzt werden und zielgruppenorientiert gestaltet werden – aber wer hat gesagt, dass Lernen in Zeiten der Digitalisierung immer spröde und langweilig sein muss?
 

5. Auch selbstgesteuerte digitale Bildung braucht Führung

Unternehmen, die ihre Mitarbeiter/-innen motiviert weiterbilden, haben längst erkannt, dass es mit der digitalen Auslagerung von Bildungsinhalten und der Anforderung „und jetzt lernt halt einfach!“ salopp gesagt nicht getan ist. Menschliches Lernen ist ein anspruchsvoller und zeitaufwändiger Prozess und da unser Gehirn sich oftmals eher widerstrebend darauf einstellen mag, braucht es nicht nur Inhalte, in welchen der Akteur die Sinnhaftigkeit direkt erkennen kann, sondern auch empathische Führung (siehe dazu Artikel "Sinn der Arbeit bieten"). Ja, einfache, moderne und nutzerfreundliche Lernplattformen auf den Neue Medien sind wichtig, aber bisher ist es nicht gelungen, eine virtuelle Begleitung in Form eines digitalen Assistenten zu entwickeln, welches die empathische Fähigkeiten eines konstruktiven Feedbacks, Lobs oder Unterstützung in herausfordernden Phasen so gut abbildet wie ein/e Ausbilder/-in, Trainer/-in oder Lehrer/-in. Das mag trivial klingen, in der Praxis ist es aber so, dass LernerInnen vor allem im digitalen Raum gerne allein gelassen werden. Das ist vor allem auch deshalb fatal, weil oft nicht mitgedacht wird, dass die Ablenkungsmöglichkeiten am PC wesentlich größer sind als in einem Unterrichtsraum. Lehrer in Schulen beispielsweise waren während des Lock-Downs durch Corona konfrontiert mit der mangelnden Kontrolle über den Lernfortschritt der Schüler. Dies bringt uns zum letzten Punkt, dem Fokus auf konzentrierte Lernphasen.
 

6. Fokus muss trainiert und aktiv eingefordert werden

Vor allem in hyperaktiven Umgebungen der Neuen Medien mit unendlichen Ablenkungsmöglichkeiten ist Konzentration auf das Wesentliche keine Selbstverständlichkeit, sondern eine Fähigkeit, die geübt und unterstützt werden muss. Das haben auch Unternehmen erkannt und bieten Leitfäden zum agilen, konzentrierten und selbstgesteuerten Lernen an. Konkret bedeutet dies, dass bestimmte Zeiten in der Woche fest für Weiterbildungsmaßnahmen reserviert sind, entweder in Präsenz oder digital in Eigenregie. Denn auch hier greifen die Ablenkungsmechanismen des Gehirns und ehe man sich versieht, wird die tägliche Arbeit wichtiger und man hat die Bildungsangebote, die man sich fest vorgenommen hat, doch wieder aufgeschoben. Lernen braucht also stets eine Mischung aus Raum, Struktur und Halt. Wenn Führungskräfte so etwas ermöglichen, ist eine ideale Lernumgebung geschaffen, die auch im Zeitalter der Digitalisierung wirksame Lerntransfers mit sich bringt.
 

7. Digitale Bildung im digitalen Wandel ist mehr als ein Abziehbild der Originale

Was können wir also abschließend von Unternehmen, die sich aktiv mit Weiterbildung in diesem neuen Zeitalter der Digitalisierung auseinandersetzen, lernen? Als Hauptpunkt wird ersichtlich, dass es nicht reicht, ehemals analoge Inhalte oder Präsenzveranstaltungen 1:1 in digitale Bildungsformate auszulagern. Erst wenn wir uns mit den technischen Chancen der Neuen Medien auseinandersetzen, diese in ihrer Ganzheit begreifen und dann menschlichen Lerneigenschaften und Bedürfnissen unterordnen, können wir den digitalen Wandel als echte Transformation nutzen. Nur so kann ein Mehrwert geschaffen werden, der nicht die Technik, sondern den Menschen in den Mittelpunkt rückt: Mit einem sinnvollen Mix aus Präsenz und Online, der Lernen nach Bedarf über moderne Plattformen ermöglicht, menschliche und spielerische Fähigkeiten in den Fokus rückt und über Führung selbstgesteuertes, konzentriertes Lernen fördert. Auch Schulen können sich nach diesem Leitbild orientieren.
Nur so kann Lernen während der Digitalisierung im 21. Jahrhundert wirklich gelingen –  wie wir das mit GEORG praktisch in die Tat umgesetzt haben und wir Sie dabei unterstützen können, erfahren Sie hier. Melden Sie sich bei Interesse bei uns!
 


Bildnachweis: © unsplash.com
Quelle: u.a. https://colearn.de/lernos-die-kunst-des-selbstgesteuerten-lebenslangen-l...

 

Verfasst vom Fachexperten Dr. Jan Ullmann

Dr. Jan Ullmann. Jan ist E-Learning Trainer und Berater aus München und er befasst sich mit der Frage, wie man intelligente Technologien mit sinnhaften, menschenzentrierten Methoden verbinden kann. Nach Tätigkeiten bei Siemens, IBM und United Internet und Forschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hat er 2015 sein Unternehmen 'Lernhandwerk' gegründet. Sein Ziel für die Zukunft der Arbeit ist die nahtlose Verschmelzung mit zeitgemäßer Bildung sowie die bewusste Potentialentfaltung eines jeden einzelnen Menschen.
Kontakt: www.jan-ullmann.de | www.lernhandwerk.de