Lernen durch Lehren - ist dieses Konzept sinnvoll einsetzbar in der betrieblichen Ausbildung oder im Unterricht an Beruflichen Schulen? Wie kann dieser Ansatz mit digitalen Medien verknüpft werden?

Erklärvideos gehören zu den beliebtesten Medien bei Jugendlichen. Denn junge Menschen lernen heute anders als früher. Statt sich mühsam durch Lehrwerke zu quälen, suchen sie sich heute auf Google oder YouTube einfach einen passenden Videoclip zu ihrem Anliegen, ob als Tutorial, Vlog, Let’s-Play-Video oder Lifehack. Videobasiertes Lernen ist bei Jugendlichen schlicht Standard. Mit ihnen können sich die Lernenden den notwendigen Stoff in ihrem eigenen Tempo aneignen. Grund genug, dass die Ausbildungsbetriebe und Beruflichen Schulen mit innovativen veränderten Lehr-Lernprozessen auf die veränderten Lerngewohnheiten der Auszubildenden reagieren sollten und damit eine Alternative zum klassischen Unterricht bieten.
 

Was zeichnet die Methode "Lernen durch Lehren" aus?

Die Methode wurde von Jean-Pol Martin in den 1980ern im Französisch-Unterricht eingesetzt und wird seitdem stetig für viele Fächer und Lerninhalte weiterentwickelt. „Lernen durch Lehren“ (kurz LdL) basiert auf der Annahme, dass das Erklären und das Präsentieren von Inhalten zu nachhaltigem Lernerfolg führt. Die selbstständige Arbeit erlaubt es den Auszubildenen, die Unterrichtsinhalte grundlegender zu verstehen und Informationen so besser im Langzeitgedächtnis abzuspeichern. Durch das Lehren finden sie sich in einer neuen Position wieder: Sie übernehmen einen aktiven Part und müssen Sachverhalte im Unterricht selbst erklären.
 

Erklärvideos im Blended Learning und im Inverted Classroom

Durch die Corona-bedingten Einschränkungen und Schließungen hat in allen Bildungsinstitutionen der Trend zu Blended-Learning-Konzepten weiteren Auftrieb erfahren. Ähnliches gilt für das Flipped-Classroom-Modell, das sich besonders in Zeiten von abwechselnden Schul- und Homeschooling-Phasen als erfolgreiche methodische Alternative erweist. Verständlich, dass Erklärvideos auch von Skeptikern nun mit anderen Augen gesehen werden, ermöglichen sie doch die multimediale Vermittlung grundlegender Inhalte und Zusammenhänge – auch Zuhause. Ob zur Vor- und Nachbereitung von Themenbereichen oder in einzelnen Phasen des Unterrichts, ob zur Einführung neuer Inhalte, oder zur Zusammenfassung von bereits Gelerntem: Multimedial dargeboten sind Erklärvideos eine Bereicherung des Unterrichts und motivieren sowohl Produzenten als auch Konsumenten.
 

Produzieren statt konsumieren

Lernen ist nachweislich dann erfolgreich, wenn die Lernenden selbst in die Rolle der Videoproduzenten schlüpfen, wenn sie Lerninhalte für ihre Ausbildungsgruppe oder Klasse aufbereiten und selbstständig Gelerntes kreativ zusammenfassen – einfach gesagt: „Lernen durch Lehren (LdL)“. Auszubildende, die über einen Sachverhalt ein Erklärvideo erstellen, lernen nachhaltiger und durchdringen das Thema tiefer. Zudem ist es für Auszubildende sehr motivierend, sich der Herausforderung zu stellen, selbst ein Erklärvideo zu produzieren. Und Spaß macht die Arbeit mit Medien zudem! 

Das Produzieren von Erklärvideos durch Auszubildende fördert:

  • Lernkompetenz – Auszubildende erarbeiten und lernen selbstständig
  • Medienkompetenz – sie lernen unterschiedliche technische Anwendungen kennen (medientechnische Kompetenz), digitale Quellen kritisch zu betrachten (Quellenkritik und Bewertungskompetenz) sowie Inhalt didaktisch gut für andere aufzubereiten (mediendidaktische Kompetenz)
  • Organisationskompetenz – Auszubildende lernen, ein komplexes Projekt zu planen: von der Idee übers Drehbuch bis hin zur Produktion
  • Ausdrucks- und Sprachkompetenz – sie lernen, mithilfe einfacher und gut verständlicher Texte komplexe Inhalte zu erklären
  • Persönlichkeitskompetenz – Auszubildende stellen ihr Können und Wissen unter Beweis und helfen anderen, das Thema zu verstehen
     

Welche Rolle spielt der Ausbilder oder die Lehrkraft bei dieser Lernmethode?

Da die Auszubildenden Funktionen des Ausbilders oder der Lehrkraft übernehmen (das Vermitteln von Wissen), verändert sich auch deren Rolle im Lernprozess. Sie lehren nun aktiv, statt passiv am Unterricht teilzunehmen. Die Ausbilder/innen geben diese Funktion an die Auszubildenen ab und erhalten im Rahmen von „Lernen durch Lehren“ neue Aufgaben.
Er/Sie

  • überträgt die inhaltliche Planung und Themenaufbereitung an die Auszubildenden
  • verteilt Arbeitsaufträge
  • schafft zeitliche Ressourcen
  • coached die Auszubildenden im Planungs- und Produktionsprozess (Verteilung von Aufgaben, technische und organisatorische Hilfen)
  • gibt ausführliches Feedback zu den erstellten Videos
  • fördert die Auszubildenden individuell
  • ist ein Lernprozessbegleiter
     

Erklärvideos produzieren

Es gibt nicht das allein seligmachende Tool, das Ausbilder oder Lehrkräfte den Auszubildenden an die Hand geben können, um Erklärvideos zu produzieren. Vorab gilt es zu überlegen, welche anwendungsspezifischen Vorkenntnisse die Auszubildenden evtl. haben, was für ein Typ Erklärvideo geplant ist etc. Der zusätzliche technische Aufwand ist überschaubar (Smartphone/Tablet/Kamera und Stativ, evtl. ein externes Mikrofon). 

Mit diesen Programmen können Erklärvideos einfach hergestellt werden:

  • Camtasia
  • Explain everything
  • Videoscribe
  • MySimpleShow

 

Die 4 Phasen der Entwicklung und Produktion

  1. Recherchephase – selbstständiges Recherchieren und Erarbeiten der Inhalte im Internet oder in Web-Based-Trainings wie GEORG. Sollten die Auszubildenden noch keine Erfahrung im selbstständigen Erarbeiten von Themen haben, ist es sinnvoll, ihnen einige Leitfragen mit auf den Weg zu geben.
  2. Drehbuchphase – Vor dem Produzieren muss von den Auszubildenden immer ein Drehbuch für die ca. dreiminütigen Videos erstellt werden. Es ist hilfreich, ihnen dazu vorab eine Vorlage zur Verfügung zu stellen. Geben Sie Ihren Auszubildenden eine Tabelle zum Ausfüllen: 
    - Was ist zu sehen?
    - Text/Musik
    - Dauer
    - Wer ist beteiligt? (Kamera, ...)
  3. Produktionsphase – Aufnahme per Video oder Screencast, evtl. Videonachbearbeitung
  4. Publikationsphase und Feedback –  Hochladen des Videos auf einem internen Server oder auf Youtube, gemeinsames Anschauen in der Gruppe mit anschließender Diskussion.

Tipp: Die Auszubildenden sollten zentrale Grundbegriffe des Urheberrechts kennen. Zum Einstieg eignen sich dazu sehr gut die praxisnahen Hinweise auf dem Blog Herr-Kalt.de.
 

Typen von Erklärvideos – eine kleine Auswahl

  • Screencast – ideal für Einsteiger: Aufnahme vom eigenen Bildschirm, das interne oder ein externes Mikrofon nimmt parallel das Audio auf. 
  • Simple-Show – Erklärvideo mit digitaler Legetricktechnik: Bei Jugendlichen sehr beliebtes Format, indem Figuren, Symbole etc. vor einem neutralen Hintergrund in die Szene geschoben werden. 
  • Vlog – persönlich und anspruchsvoll: Ein Auszubildender erklärt vorm Whiteboard oder an der Werkbank das Thema, oft unterstützt durch eine PowerPoint- oder Prezi-Präsentation.
     

Fazit

Auszubildende können zu Lehrenden werden, indem sie Erklärvideos selbst konzipieren und produzieren. Das Arbeiten an den Videos ist motivierend und macht viel Spaß. Und der wahrscheinlich größte Vorteil der „Lernen durch Lehren“ Methode: Ein Erklärvideo selbst zu drehen, bedeutet zum Kern des Themas vorzudringen. 


Bildnachweis: ©stock.adobe.com/Monkey Business
 

Verfasst vom Fachexperten Jörg Schmidt

Jörg Schmidt arbeitet seit vielen Jahren in unterschiedlichen Funktionen in Institutionen der Bildungswelt. Schwerpunkt seines Arbeitens sind das (Mit-)Entwickeln von anwendungsbezogenen, handlungsorientierten digitalen Lehr- und Lernmedien sowie die Medienbildung. Als Projektentwickler, Lektor, Programmleiter und  Autor organisiert, unterstützt und begleitet er dabei deren Konzeption, Pflege, Implementierung für namhafte Bildungsinstitutionen und Verlage.